Elektronik-Priester:
The Jeyenne



Jeyenne

Köln im Spätsommer, Popkom, genauer: Kick Zone Festival im Müngersdorfer Schwimmstadium. Gegen Abendbrotzeit, im Lichte der langsam verblassenden Sonne haben sich nur wenige schon versammelt, als The Jeyenne ihren Live-Act beginnen. Die wirklich undankbare "Pausenfüller-Zeit" ruft bei der Band sowie bei den wenigen versprengten Zuschauern größtenteils extreme Reaktionen hervor. Jeyenne schreit und speit ins Mikro, fuchtelt bei hellstem Tageslicht beschwörend ins grelle Bühnenlicht, seine Mitstreiterin Nicque starrt verdüstert auf ihre Geräte, während die offensichtlich schockierten Zuschauer zurückstarren, bis einige von ihnen kopfschüttelnd den Platz verlassen.

Das Kick Zone Festival wird angekündigt als ein innovatives, alle neuen Stile des Techno vereinendes Festival. Trendy, Punkig, gegen den Strich bürstend, und doch hämmert Durchschnitts-House durch die Reihen, fräst das Publikum den Rasen nur bei den Hits von The Prodigy. Deutschland ist offensichtlich nicht das Land der Innovationen.
Nicque: "Ich würd' sagen, die Massen, die sind früher oder später zu Neuen Sachen bereit. Jede Generation hat ja eine spezielle Musikrichtung gehabt. Es muß nur die Zeit kommen, bis das soweit ist. Und ich denke, die ist reif. Daß endlich etwas Großes von der Masse akzeptiert wird. Bitte, wir haben jetzt fünf Jahre Techno gehabt, es muß wieder was Neues kommen. Und in England haben wird doch den besten Beweis: diese Bands wie Chemical Brothers, Underworld, Prodigy, das ist 'ne neue Richtung. Es braucht nur seine Zeit, bis das in Deutschland wieder durchkommt. Hier dauert's immer ein bißchen länger..."

Nicque
Obwohl The Jeyenne sowohl mit ihrem New-Wave angehauchtem Image als auch mit ihrer innovativen Musik, eine peitschende Mischung aus Acid, EBM, New Wave, Rock und beschwörendem Gesang, das Klischee des "genialen, aber unverstandenen Underground-Acts" bedienen, weisen sie dieses in unserer Musikkultur positiv besetzte Klischee von sich:
Jeyenne: "Es geht mir nicht um die "Underground-Overground"-Geschichte. Ich bin Musiker, ich mache Musik. Und jeder Musiker möchte etwas sagen. Und es ist besser, wenn eine Million Leute das hören, als nur zehn Leute. Und kein Underground-Künstler kann mir sagen, daß das nicht gut ist für ihn. Wenn Du Deinen Stil behältst, und wenn Du ehrlich bleibst, dann ist es egal, wieviel Leute das hören. Für mich gibt es keinen Underground-Overground."
Nicque: "Kommerz ist doch relativ. Sobald Du eine Platte im Laden hast, bist Du kommerziell, Du verkaufst Dich. Es geht nur darum, ob es gute oder schlechte Musik ist, egal wie oft sie verkauft wird. Sie muß einfach das Niveau haben. Mit guter Musik haben die Massen auch keine Probleme; sie sollte nur mehr gefördert werden."
Diese Unterstützung seitens ihrer Plattenfirma east west fehlten The Jeyenne in der Vergangenheit, weshalb sie nun den Vertrag lösten und auf der Suche nach einer neuen Möglichkeit sind, ihr fast fertiges Debutalbum zu veröffentlichen, das auch eine Coverversion von The Cure enthalten wird.
The Jeyenne sehen sich ein wenig als Missionare auf der 303, um mit ihrer Independent-Musik eine anspruchsvolle Bresche in den
s e e l enlosen Mainstream zu schlagen; gerade deshalb hatten sie sich bewußt für das Mainstream-Label "east west" entschieden:
"Ich wollte den Independent, den ich mache, auch etwas streuen, zu den sogenannten "Normalos" bringen. Und das war der beste Weg, um es den 'Normalos' beizubringen. Äh, es ist anders gekommen, als ich mir das gedacht habe, es geht alles ein bißchen langsamer. Aber ich finde trotzdem, daß das der Weg ist, um an die Masse zu kommen. Es sollen mehr Leute meine Musik hören, Leute, die ehrliche Musik hören wollen und nicht den Abfall, den es sonst so gibt."
Das Prädikat "ehrliche Musik" war früher nur eines, das Rockmusikern zugedacht wurde. Doch trifft es mittlerweile auf viele Techno-Acts wie The Jeyenne, Daft Punk und The Prodigy genauso zu. Schwitzend, rockend und hochkonzentriert frickeln die meisten Musiker hinter ihren Synthizisern und Samplern, improvisieren lange Loops, wie früher Gitarristen ihre obligatorischen Soli.
"Es ist nicht einfach, unsere Musik zu spielen. In der Elektro-Musik ist es anders, als wenn man eine Gitarre spielt. Jeder kann eine Gitarre spielen oder Schlagzeug, man kann das schnell lernen. Aber die Geräte zu bedienen, perfekt zu bedienen, daß sie so auf der Bühne kommen, wie wir uns das vorstellen, das ist sehr viel Arbeit", erklärt Jeyenne, der kreative Kopf der Band. Mit dieser Meinung steht er jedoch in der Techno-Branche ziemlich alleine dar. Soft- und Hardware zum Homeworking gibt es zu erschwinglichen Preisen, jeder sein eigener Produzent, Teenager geben als Berufswunsch "DJ" an.
Mit der richtigen Software, so glauben viele, kann jeder coole Musik machen: "Du kannst Dir die schnellste Maschine kaufen, die ausgeklügelste Software, es ist immer ein Mensch, der dahinter sitzt", ereifert sich Nicque, "und es wird leider immer mißverstanden: ich kaufe mir diesen supertollen Rechner und ich bin ein Produzent. Schlußendlich ist immer der Mensch hinter der Maschine. Die Maschine ist nichts ohne den Menschen. Der Mensch kommt ohne die Maschine notfalls noch aus." Die technischen Hilfsmittel, insbesondere der Computer, sind für Jeyenne nur Mittel zum Zweck: " Technik, Natur und der Mensch, das sind die Begriffe, die mich seit Jahren prägen. Der Mensch im Mittelpunkt, die Technik für den Menschen und die Natur als Basis. Und wenn man diese drei Konstellationen gut im Einklang mit sich selbst verwaltet, dann entsteht was Positives. Aber meistens entsteht etwas Negatives, da wird die Technik gegen die Natur verwendet...
die Natur wird zerstört...
Ich bin ein Naturmensch. Ich liebe das Grüne und die Bäume. Deswegen bin ich auch in die Berge am Bodensee gezogen. Computer sind sehr wichtig für mich, aber Mittel zum Zweck. Ohne Computer wären wir Menschen nicht so weit."
Obwohl Jeyenne ein Fan von alten Science-Fiction-Filmen ist, steht er der zunehmenden technischen Entwicklung im alltäglichen Leben nicht grundsätzlich kritisch gegenüber. Dennoch finden er und Nicque ein gesundes Maß an Kritik an der Informationsgesellschaft, die die allgemeine Erreichbarkeit und den Nachrichtenterror predigt. Jeyenne: "Demnächst bekommen wir einen Chip unter die Haut und dann sind wir alle kontrollierbar. Natürlich wird es Leute geben, die das nicht machen, aber die werden verrecken. Mir fallen immer diese Horrorszenarien der Science-Fiction ein..."
Nicque: "Im Prinzip ist es dasselbe wie bei Musik. Du kannst nicht stehenbleiben. Du mußt Dich technisch weiterbilden, wenn man weiterdenken will. Man muß ein gesundes Maß finden zwischen Kreativität und Technik. Das eine kann es nicht ohne das andere geben."


Nicque: "Der Trend geht auf jeden Fall zurück zu den Bands. Zu Leuten, die sich nicht hinter ihren Maschinen verstecken. Die Leute auf Raves und Parties wissen nicht mehr, wer wann auflegt, wer hinter welcher Maschine steht, die wollen wieder Menschen sehen, Entertainment, Show. Es war fünf Jahre kalt und elektronisch und abgekapselt mit Techno."
Jeyenne: "Es war fünf Jahre DAT und 'Hands in the Air'".
Nicque: "Schlichtweg eine Verarschung, die niemand gemerkt hat."

nikki