Filme:
Im letzten Teil der KultEcke habe ich Euch den französischen Komödianten Jaques Tati und seine ersten beiden Filme "Tatis Schützenfest" und "Die Ferien des Monsieur Hulot" vorgestellt.
Der eigentliche Kampf Hulots - Jaques Tatis' zweites Ich - gegen die Technisierung der Welt und gegen sinnlose Neuigkeiten aus der Modebranche und Architektur spielt sich in den folgenden drei Filmen ab, die Tati zudem in Farbe drehte.
Die Farbe diente Tati weniger als Gestaltungsmittel denn als Zugeständnis an die weiterentwickelte Filmtechnik; er arbeitete auch weiterhin mit einer Geräuschkulisse, die das Gebrabbel der Menschen verschleierte, nur um den Gegenständen, Türen, Töpfe, Autos, Rolltreppen etc., mehr Beachtung zu schenken.
Tauchen wir nun ein in die seltsame Welt von Hulot, rasen wir mitten in die Großstadt, nach Paris....
Paris, das ist nicht mehr das touristische Paris mit seinem Eifelturm, den kleinen Gasen und verwickelten Häusern. Paris ist ein Meer aus lackglänzenden Autos, Stahl- und Glasfassaden, die den Blick auf das "alte" Paris verbauen.
Und mitten hinein stolpert ein verwirrter Mann mit Hut, Regenschirm, Ringelsocken und Trenchcoat: Hulot. Er kommt aus seinem alten Pariser Viertel, in dem noch Menschlichkeit und Wärme die Menschen umhüllen, und stolpert über kalte, eckige Architektur, unnütze Küchentechnik und schnelle Autos, denen er mit seinem alten Motorrad hinterherhopst. Büroräume von Angestellten wirken wie ein absurdes Labyrinth aus Waben, in denen jeder für sich isoliert sitzt ("Playtime"), Automobile scheinen ihre Besitzer "zu fressen" ("Trafic").
Jaques Tati nimmt in seinen Filmen eingefahrene Wahrnehmungsmuster ebenso auf's Korn wie den Zustand der Welt. Man muß schon so verrückt sein wie Hulot, um die gesellschaftlichen Regeln als Außenstehender so objektiv betrachten zu können.
Tati/Hulot stellen fragen, akzeptieren die gesellschaftlichen Muster nicht, sondern entlarven sie, damit sich jeder selbst eine Meinung bilden kann. Dabei schwingt Tati immer einen optimistischen Unterton an. Er hat Verständnis für die Schwächen seiner Menschen, sich in das gesellschaftliche Karussel einzureihen, ohne Fragen zu stellen.
Für Tati sind alle Opfer einer Gesellschaft, die menschliche Werte verloren hat; das System selbst ist der Feind, nicht die Menschen darin.
Jaques Tati macht uns lächeln über das Absurde der Konformität, über eine inhumane Architektur, über ein unsinniges Verkehrssystem und nutzlose technische Einrichtungen.
Die moderne Stadt ist für ihn "eine Ansammlung von Gebäuden, die für ihre Bewohner zu groß und von Maschinen beherrscht sind, mit denen sie zwangsläufig in Konflikt geraten müssen" (Brent Maddock: Die Filme von Jaques Tati). Er setzt das Chaos, das Hulot, der aus der "alten Welt" stammt, zwangsläufig nach sich zieht, als den menschlicheren Zustand über die logische Ordnung.
Die ersten "Opfer", die sich Jaques Tati alias Moniseur Hulot sucht, sind die Arpels in "Mein Onkel":
(Mon Oncle)
Frankreich 1958
Buch und Regie: Jaques Tati
Darsteller: Jaques Tati (Monsieur Hulot), Jean-Pierre Zola (Herr Arpel), Adrienne Servantie (Frau Arpel), Alain Bécourt (Gerard), u.a.
Hulots Schwester, Madame Arpel, und ihr Mann sind Opfer ihres ultramodernen, überorganisierten Lebensstils geworden. Dagegen steht der verschrobene, altmodische Hulot, der in einem alten Pariser Stadtteil lebt.
Er fährt eines Tages in die moderne Neubausiedlung, in der die Arpels wohnen, um seine Schwester zu besuchen. Diese ist stolz auf ihr mit modernster Technik vollgestopftes Haus, während ihr Mann in einer Plastikfarbrik die Produktion kilometerlanger Plastikschläuche überwacht. Ihr gemeinsames Kind, Gerard, wühlt jedoch lieber im Schmutz, prügelt sich und ist auch sonst ein kleines Bündel Chaos im geordneten, sauberen Leben seiner Eltern - bis Hulot kommt. Denn der zieht ein Sog der Unordnung nach sich...
Die Handlung der Geschichte ist wieder mal simpel, Hulot kommt, verwirrt und geht wieder. Doch die kleinen Geschichten und Gags um die Handlung herum sind ein Affront gegen moderne Technik und zeigen die Isolation durch die Form des Wohnens. Der sinnlose Blechfisch im Garten der Arpels ist ebenso ein "running Gag" wie das vollautomatische Garagentor. Das Haus der Arpels, das ein verschachtelter Betonkasten ist Selbst die Bäume im Garten sind in Spalierform gezwängt, damit ja kein Fleckchen Natur/Chaos die Sterilität störe.
Tati hüllt das moderne Viertel in grelle Farben, versieht die Menschen darin mit giftroten Kostümen. In ihrer kalten Umgebung sitzen sie stumm vor dem Fernseher, statt zu leben. Wenn menschliche Kommunikation stattfindet, stellt sie Jaques Tati als das dar, was sie meistens nur ist: Lärm.
In "Mein Onkel" lebt das Interieur, es summt, brummt und quietscht in Arpels Haushalt, der Blechfisch blubbert, das vollautomatische Garagentor quietscht.
Hulot bringt Menschlichkeit, Chaos, in das Leben der Arpels. Am Ende sind sie menschlicher geworden und haben sogar Verständnis für ihren "unordentlichen" Sohn.
(Tatis herrliche Zeiten)
Frankreich 1967
Buch und Regie: Jaques Tati
Darsteller: Jaques Tati (Monsieur Hulot), Barbara Denneck (junge Touristin), Jack Gauthier (Führer), Henri Piccoli (ein wichtiger Herr), Erika Denzler (Frau Giffard), Georges Montant (Herr Giffard), u.a.
Dieser Film spielt mitten im modernen Paris, das aber nur stellvertretend für alle großen Städte dieser Welt steht. Die berühmten Pariser Sehenswürdigkeiten sind nur mehr Reflexionen an den Glastüren der zahllosen Hochhäuser, an denen Massen an Touristen vorbeihetzen. Das alte Paris ist nur eine Spiegelung, ein Traum.
Die beschauliche Welt, die uns Tati noch in "Die Ferien des Monsieur Hulot" und zum Teil in "Mein Onkel" vor Augen führte, gehört in "Playtime" nun endlich der Vergangenheit an, die Moderne hat gesiegt, Technik und Architektur bestimmen den Menschen.
Die Handlung ist mal wieder von sekundärer Bedeutung: eine Gruppe Amerikanerinnen versucht vergeblich das Paris zu entdecken, das sie vom Hörensagen kennt. Hulot versucht, ebenfalls ohne Erfolg, mit einem Herrn Giffard zusammenzutreffen. Der Tag gipfelt für die Touristinnen in einer wilden Party im Royal Garden Nightclub, in den natürlich auch Hulot stolpert und sich daraufhin das gepflegte Interieur sowie die angeheiterten Gäste nach und nach auflösen.
Hulots Versuche, Giffard zu treffen, scheitern an einer gigantischen, unmenschlichen Architektur, die zum Labyrinth wird, sobald man sie betreten hat.
Es gibt viele kleine Szenen, die zum Schmunzeln anregen, etwa die im Kreisverkehr: Autos fahren, bleiben stehen, ein kleines Mädchen wirft eine Münze in eine Parkuhr, die Autos fahren weiter. Als Hulot schließlich auf einer Messe landet, die Interieur anbietet, kann man sich ungefähr vorstellen, wie er die distinguierten, gelangweilten Besucher auf Trab bringt. Eine futuristische Lampe funktioniert er zum Mikrophon um und interviewt zwei Messebesucherinnen.
Die Bauten haben eine strenge Funktionalität und sind austauschbar. Stahl, Lack und Glas bestimmen die kalte Farbigkeit des Films, der das beschäftigte, unterkühlte Lebensgefühl der Großstadtmenschen widerspiegelt.
Einzig besagte Nachtclubparty artet zu einer Tour-de-Force der Peinlichkeiten und Ausgelassenheit aus; bezeichnenderweise lockern sich die Besucher und tanzen ausgelassen in dem Chaos umher, erst nachdem alles zu Bruch gegangen ist.
Frankreich 1971
Buch und Regie: Jaques Tati
Darsteller: Jaques Tati (Herr Hulot), Maria Kimberly (Maria), Marcel Fraval (Marcel), u.a.
Hulot ist diesmal, noch mehr als bei den vorausgegangenen Filmen, in das Gesellschaftsleben integriert. Er arbeitet als Werbefachmann in der Autobranche und soll zusammen mit Kollegen zum Amsterdamer Autosalon fahren, um dort den neuen Altra-Campingwagen vorzustellen.
Überflüssig zu erwähnen, daß Hulot erst zum Schluß der Ausstellung in Amsterdam ankommt...
Ohrenbetäubender Lärm einer Autofabrik führt zu Beginn des Films in die Thematik ein. Es geht um die Krone des Fortschritts, das Auto, ganz klar. Über weite Strecken handelt der Film von den Widrigkeiten des Straßenverkehrs, die wenigen ruhigen Momente werden durch Unfälle oder durch Hulots Kollegin Maria unterbrochen.
Tati belebt die Unzahl von Automobilen, die hier die Hauptrolle spielen, mit ganz eigenen Charakteren. Sie geben Geräusche von sich, die nur unschwer erkennen lassen, daß sie müde, hungrig oder erschöpft sind.
Die Welt in "Trafic" ist für das Auto geschaffen und wird von ihm beherrscht. Erstmals setzt Tati Filmmusik direkt korrespondierend zur Handlung ein: coole Jazzmusik begleitet die vorbeisausenden weißen Autobahnmarkierungen.
Transpositionen tauchen in "Trafic" besonders häufig auf. "Einmal blickt man von oben auf die Autos der Ausstellung. Eine Reihe glühender Autofanatiker schart sich um einen Wagen und beugt sich unter dessen Kühlerhaube. Man hat den Eindruck, als werde die Gruppe vom Auto verschlungen" (Brent Maddock: Die Filme von Jaques Tati).
Aufnahmen von Stadt und Land, die hektische, automobilorientierte Maria und der trödlerische Hulot bilden die gegensätzlichen Motive von Mensch gegen Natur, Natur gegen Technik und Sanftheit gegen Rücksichtslosigkeit.
Am Ende ist Hulot zwar entlassen und es regnet auch noch, aber er ist ungebrochen optimistisch, ganz der Alte und bummelt mit einer - natürlich - gewandelten Maria gen Horizont. Er hat ja alle Zeit dieser Welt.....
pro stück
Filme | JahrJour de fete | Tatis Schützenfest 1949 | Les Vacances de Monsieur Hulot | Die Ferien des Monsieur Hulot 1953 | Mon Oncle | Mein Onkel 1958 | Playtime | Tatis herrliche Zeiten 1967 | Trafic | 1971 | Parade | 1973 | |
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