Kultecke:
Jaques Tati (1)
Der Kampf gegen die Moderne
Jaques Tati und seine Filme


Filme:




Einleitung

Chaplin, Keaton und Lloyd sind das Dreiergestirn, das das Genre Filmkomödie mit Leben füllt. Sie brachten in den ersten zwei Jahrzehnten dieses Jahrhunderts ihre Hauptwerke hervor, denen noch heute Filmkomiker nachzueifern versuchen. Sie erfanden Figuren, die den amerikanischen Verhältnissen zu Beginn des 20. Jahrhunderts entsprachen, aber eigentlich hätte die moderne westliche Welt der 50er und 60er Jahre ihren eigenen Komödienantentypus hervorbringen können.
Der Franzose Jaques Tati ist diesem Ziel näher gekommen als jeder andere seiner Zeitgenossen. Sein von ihm erfundener und gespielter Charakter Hulot ist wie die Figuren Chaplins, Keatons und Lloyds ein Clown. Doch Hulot reproduzierte nicht gängige Muster von Komik, sondern er stellte einen neuen Typus Menschen dar, der in den modernen Zeiten hilflos umherstrudelt und doch seine kauzige Individualität behält.

Tatis Themen waren immer am Puls der Zeit und behandelten den Kampf des Menschen gegen die Maschine, den Kampf der alten gegen die neue Welt und des Mißerfolges gegen den Erfolg. Mit der Kreation seiner ganz eigenwilligen Figur des Monsieur Hulot, dieses überlangen Menschen in Hochwasserhosen und Ringelsocken, der ganz ungewollt Chaos hinterläßt, führte Tati eine stille, leise Komik ein, die die Menschen und ihre Eigenheiten zwar entlarvte, aber niemals veralberte wie es sich z. B. Chaplin nicht verkneifen konnte.

Die KultEcke stellt diesen eigenwilligen Regisseur und seine noch eigenwilligeren Filme in zwei Teilen vor. Seine ersten beiden Filme "Tatis Schützenfest" und "Die Ferien des Monsieur Hulot" können thematisch und gestalterisch für sich betrachtet werden, da sie den Konflikt des Individuums mit der modernen Gesellschaft bereits schildern, aber sie erinnern in Stil und Gestaltung eher an Stumm- denn an Tonfilme.
Tatis folgenden Filme, die von Kritikern als sein eigentliches Hauptwerk und als "reinen Tati" betrachtet werden, sind nicht nur in Farbe gedreht und mit einer ausgeklügelten Geräuschkulisse unterlegt, sondern sie spielen in der Architektur und Maschinerie der Moderne: in Paris und auf der Autobahn. Diese drei Filme verdienen es, gesondert und besonders ausführlich betrachtet zu werden. Der "reine Tati" folgt also im Mai.






Tatis seltsame Welt

Jaques Tati widersprach in seiner Arbeitsweise und der Konzeption seiner Filme allen damaligen Regeln der Filmkunst. Über sein vergleichsweise bescheidenes‘vre, bis zum Alter von 69 Jahren drehte er nur fünf Filme, streiten sich noch heute Kenner: war er verrückt oder genial? Oder beides?


Seine Filme thematisierten zwar immer modische Trends, waren aber technisch und stilistisch der Stumfilm-Ära verpflichtet. Den Kampf des "menschlichen Verstandes mit der Technisierung des modernen Lebens" (Brent Maddock: Die Filme des Jaques Tati) stellte Tati in einer merkwürdigen Mischung aus Stumm- und Tonfilm und klassischen Gags in moderner Szenerie dar. Präzise klügelte er seine abstruse Mischung aus Geräuscheffekten, Kulissen und Tempo der Handlung aus.
Der Ton ist eines der Hauptmerkmale in einem Tati-Film: er wird bewußt sparsam eingesetzt. Dialoge sind in vielen Filmen nebensächlich und nur "Geplätscher" wahrnehmbar, einzelne Worte sind nicht zu unterscheiden. Stattdessen setzt Jaques Tati die uns umgebenden Geräusche, sei es aus der Natur wie in "Die Ferien...", sei es Industrielärm wie in "Trafic", ein.
Tati legte auch keinen Wert auf eine durchdachte Handlung. Seine Filme werden allein dadurch absurd, daß ein Mensch, also Monsieur Hulot, sich von A nach B bewegt und dabei mit den modernen Errungenschaften unserer Welt so sehr ins Gehege kommt, daß er ein Chaos auslöst, was dann genau eine Filmlänge hat.
Tati will keine Action, sondern "Grundmuster und -strukturen unserer Gesellschaft zeigen: Architektur und Verkehr, Wohnen, Rationalisierung " (Maddock). Wobei die alltäglichsten Abläufe von ihm wahrgenommen und karikiert werden, so daß man erst beim wiederholten Sehen seiner Filme die kleinen Gags am Rande wahrnehmen kann.






Der Kampf gegen die Moderne

Hulot nimmt den Kampf gegen die moderne Welt mit seinem hemmungslosen Individualismus auf, der sich nicht nur in komischer Kleidung, sondern auch in komischem Gebahren ausdrückt. Er ist immer schneller oder langsamer als seine Mitmenschen.
Tatis erste Schöpfung, der Postbote Francois, versucht der modernen technischen Entwicklung auf seinem alten Fahrrad hinterher zu hecheln. Er will die Effizienz des amerikanischen Postverteilungssystems durch viel Landwein und Eifer wettmachen. Wie man sich denken kann, endet das in einem heillosen Schlamassel.
Hulot trotzt in "Die Ferien des M. Hulot" der rationalen modernen Gesellschaft in vielerlei Weise: zuerst sein Auftreten. Sein komischer, nach vorn gereckter, federnder Gang, die komischen Ringelsocken, die aus der zu kurzen Hose hervorschauen beleidigen das Auge. Dann: sein Benehmen. Mit fast kindlicher Naivität verstört er seine Hotelgäste und die Portiers. Egal welche Handlungen er ausführt: sie enden im Chaos.
Hulots altmodische Kleidung und sein Gebaren als Gentlemen wirken in der modernen Welt wie ein Relikt aus anderen Zeiten. Und meist hinkt Hulot in der Wahrnehmung der äußeren Welt hinterher.

"Francois und Hulot sind besondere Rebellen. Francois lehnt sich gegen den Lauf der Gesellschaft auf und fällt wie ein komischer Ikarus zurück auf die Erde. Hulots erzwungenes Einzelgängertum resultiert aus dem objektiven Blick, mit dem er die Welt sieht." (Brent Maddock)






TATIS SCHÜTZENFEST

Jour de féte
Frankreich 1949
Regie und Buch: Jaques Tati
Darsteller: Jaques Tati (Francois), Guy Decomble (Roger, Zirkusbesitzer), Paul Frankeur (Marcel, Zirkushelfer), Santa Relli (alte Dame), u. a.

Dieser erste Spielfilm Tatis erzählt die Geschichte des langbeinigen Postboten Francois, der auf dem Schützenfest in der Wochenschau des Wanderkinos die moderne Effizienz des amerikanischen Postsystems sieht und sich der neuen Herausforderung stellt.
War er zuvor mit viel Wein und Eifer durch die Gegend geradelt, immer aufgeschlossen für ein Schwätzchen, so läßt er sich nun keine Zeit mehr, sortiert die Briefe während der Fahrt, rast schon mal mit seinem Fahrrad in einen Heuhaufen und liefert Brief falsch ab.
Das Schützenfest dient Tati in diesem Film nur als den Motor, der Francois durch den Wochenschau-Film in eine Sinnkrise stürzt. Die schlichten, aneinandergereihten Slapstickgags behandeln Konflikte, wie sie in Tatis nachfolgenden Filmen auftauchen sollten:

Der Film endet so ruhig wie er begann: das Fest ist zuende, die Schausteller bauen ab und Francois, noch ein wenig angeduselt, sieht ein, daß er in dem kleinen Dorf, auf seinem alten Fahrrad, moderne Effizienz nicht wird herstellen können, ja, daß sie eigentlich gar nicht benötigt wird.
Viele kleine Gags - ein Glockenseil, das jeden in die Höhe zieht; Francois selbst, der seinen Postsack immer um sich selbst routieren läßt - bereichern den Film. Die für Tati so typische Kontrastierung von hektischer Betriebsamkeit auf der einen und trägen, ruhigen Passagen auf der anderen Seite, wird in "Tatis Schützenfest" bereits deutlich. Schärfer arbeitet Tati das jedoch im nächsten Film heraus:






DIE FERIEN DES MONSIEUR HULOT

Les Vacances de Monsieur Hulot
Frankreich 1953
Buch und Regie: Jaques Tati
Darsteller: Jaques Tati (Hulot), Nathalie Pascaud (Martine), Louis Perrault (Fred), Michèle Rolla (Martines Tante), u. a.

Der Film handelt vom Jahresurlaub des Herrn Hulot in einem kleinen Badeort in der Bretagne. Das ist auch schon alles. Der Film beginnt mit der Anreise der Gäste, darunter Hulot, und endet zum Saisonschluß, wenn die Gäste wieder abreisen.
Im Hotel de la Plage wohnen die unterschiedlichsten Menschen. Jeder von ihnen ist fest entschlossen, in den wenigen Wochen mit einer ähnlichen Verbissenheit Urlaub zu machen, wie sie sonst ihr Alltagsleben bestimmt.
Ein lautes, knallendes Automobil führt Hulot in die Szenerie ein. Mit den Fehlzündungen seines antiquarischen Untersatzes macht er der Schläfrigkeit des Ortes just ein Ende. Auch seine unbeschreibliche Art, die Hoteltür aufzureißen, so daß ein heftiger Windstoß die Gäste stört, ist ein running gag des Filmes, den Tati in abgewandelter Form, ebenso wie das fehlzündende Auto, wiederverwenden wird.

Hulot verunsichert die Gäste durch seine bloße Anwesenheit. Sein komisches Auftreten, sein zu kurzer Trenchcoat, Sporthütchen, Pfeife, zu kurze Hosen und Ringelsocken, und seine federnde, nach vorn geneigte Art zu laufen, stürzt das kleine Hotel in Chaos.
Alle Gags hier aufzuzählen, würde den Rahmen sprengen. Das große Abenteuer besteht allein darin, daß Hulot mit gesellschaftlichen Konventionen und der Technik kämpft. Er wird z. B. von einem zusammeklappbaren Kajak verschluckt, sein Autoreifen rollt ihm davon, er läuft einem Rasensprenkler hinterher, um eine Gießkanne mit Wasser zu füllen.

Tati rückt Hulot jedoch nicht in den Vordergrund, Details und andere Personen nehmen einen wichtigen Platz in der Handlung ein. Besonders komisch ist es, wenn Hulot bereits aus der Szene verschwunden ist, aber sein hinterlassenes Chaos weiterhin die Handlung prägt. Tati provoziert eher ein lautloses Lachen, ein Schmunzeln, wenn er auch mal seine Hauptfigur Hulot vergißt, und seine Kamera ausführlich einem kleinen Jungen widmet, der Eis holen geht. Es passiert nichts. Das Eis fällt nicht herunter, der Junge stolpert nicht.
Andere Szenen wiederum verkehren einen natürlichen Ablauf ins Absurde. Etwa, wenn Hulot zu Mittag isst und zum Salzstreuer greift, sodaß sich sein Tischnachbar ungewollt an Hulots Ärmel den Mund abwischt. Oder das wiederholte "Klonk-Klonk" der Tür zum Speisesaal.

Man kann sich ungefähr vorstellen, was passiert, wenn jemand wie der Herr Hulot wirklich in moderne Zeiten einfällt. Als hätte man ihn von seinem Stern geschubst. Das und noch viel mehr im zweiten Teil des Jaques Tati-Specials im Mai.

pro stück






Filmographie

Filme Jahr
Jour de fete
Tatis Schützenfest
1949
Les Vacances de Monsieur Hulot
Die Ferien des Monsieur Hulot
1953
Mon Oncle
Mein Onkel
1958
Playtime
Tatis herrliche Zeiten
1967
Trafic1971
Parade1973