Ein zauberhafter Sommertag. Die Bienen summen, Wind in den Weiden, auf dem verwilderten Hinterhof blühen gelbe Blumen. Andreas Dorau nestelt verärgert an seiner blauen Trainingsjacke und schaut nervös auf die Uhr. Gleich ist Soundcheck, das Interview dauert ihm viel zu lange und außerdem scheint die Sonne ihm lachend ins Gesicht. Diese Art von Humor kann er gar nicht leiden: „Ich hasse den Sommer!" bekennt er.
Und dabei zaubert seine neue LP „70 Minuten Musik ungeklärter Herkunft" hübsche Melodien in die Luft, die prima zu Wassereis, Strohtaschen und kurzen Frotteekleidchen paßt. Die pulsierenden Disco-Boogies knallen in die Beine, die sampelnde Vergangenheit holt uns ein und wirbelt uns im Takt von funkigen Gitarren durch blühende Gärten voller ironischer Zitate. Was für ein Sommer! Doch nicht für Andreas...
Was trinkst Du am liebsten, wenn es heiß ist?
„Wasser. Vittel. Wasser ohne Kohlensäure."
Stören Dich unästhetische Körper im Stadtpark?
„Zum Glück wohne ich nicht mehr in so einer Gegend, aber grundsätzlich stört mich das."
Gehst Du FKK-Schwimmen?
„Nein. Ich bin quasi nie nackt. Ich hab’ ja auch ‘ne Jacke an, wie Du siehst."
Stimmt. Nackte Arme sehen aus wie Würmer...
„Würste sind das!"
Gehst Du wenigstens ins Freibad?
„Nein! Ich hasse auch den ganzen Sommer. Wegen mir kann’s ewig Winter bleiben! Es ist heiß, Insekten...nee, es gibt tausend Dinge, die mich am Sommer stören - ich mag den überhaupt nicht. Es müßte mehr so Frühling, Herbst oder eben Winter sein. So mittelwarm."
Man könnte meinen, jemand wie der Dorau flüchtet den Sommer über in nordischere Gefilde, doch um wegzufahren, fehlt ihm das Geld: „Ich gebe mein ganzes Geld für’s Taxifahren aus. Ich fahre unter der Woche viel mit dem Taxi durch die Gegend. Ich finde Taxifahren äußerst angenehm: man kommt irgendwohin, ohne Ärger zu haben und kann dabei noch Musik hören, rauchen, nachdenken...".
Nach seinem kurzem Aufglühen als Popsternchen am Himmel der Neuen Deutschen Welle veranschiedete sich der Dorau von den Unterstufenmarinas und ging nach München, um an der Filmhochschule zu studieren. Probleme und Unstimmigkeiten mit dem Schallplattenmulti CBS waren der Grund für den Trip nach Süden. Drei Übungsfilme und ein Universitätsabschluß waren das erfolgreiche Resultat dieser Flucht aus der Musikwelt: „Mein Abschlußfilm hieß ‘Schlag Dein Tier’; das war so’ne Gameshow, wo Tiere gegen ihre Besitzer in Quiz- und Geschicklichkeitsspielen antreten." Natürlich gewinnen die Tiere. Als tierlieb bezeichnet sich Andreas Dorau trotzdem nicht. Sein Lied „Blaumeise Yvonne" stammt denn auch aus der Feder von Wolfgang Müller aus Berlin. Und der ist auch nicht tierlieb, sondern ein Künstler, der sich schon mal selbst bei der Polizei anzeigt, er würde Meisen umbringen. „In dem Lied geht es ja auch um andere Dinge, um die Meise, die man selber hat und daß man die akzeptiert und bei anderen Menschen toleriert". Der kleine Andreas und seine Lieblingsmeise
Doraus Humor und Ironie schleichen sich erst beim zweiten Hören unauffällig zwischen die heiter und oberflächlich wirkenden Texte. Plötzlich bleibt einem das Swingen im Bein stecken und man denkt nach über verdümmelnde Liebestexte Marke „Boy meets Girl" und verkrampft heitere „Wanna see your hands in the air!"-Schreie gängiger Dance-Stücke, die Dorau in Stücken wie „Girls in Love" und „An" (ein groovendes House-Stück, in dem er singend die Heizung an und ab dreht) karikiert. Kleiner, gerissener Mann!
Du benutzt unheimlich viele Samples. Weißt Du eigentlich noch, woher Du die hast?
„Also, nicht mehr bei allen Stücken. Normalerweise ist es so, daß ich, wenn ich sample, erst mal alles auf Kassette spiele und dann ein Protokoll mitführe, was da wo auf welcher Kassette ist. Bloß leider schreib’ ich das immer auf Zettel und die gehen dann schon mal verloren".
Wo nimmst Du die Platten her?
„Also, als ich begann, Material für ’70 Minuten...’ zu sammeln, habe ich mir die Platten auf Flohmärkten gekauft. Früher habe ich das immer so gemacht. Und jetzt kann ich an das PolyGram-Archiv ran, die haben ein sehr großes Schallplattenarchiv, und da bin ich dann ein halbes Jahr lang alle zwei Tage hingegangen und habe mir einen Stapel Platten mit rausgenommen. Bei den Samples ist es mir auch vollkommen egal, wo die herkommen. Es ist nicht so, daß ich mit denen einer bestimmten Musik oder einem bestimmten Künstler eine Referenz erweisen will. Für mich ist das einfach Ausgangsmaterial. Egal, ob das gute oder schlechte Musik ist."
Und so reihen sich verstaubte Glockenspiele neben Trompetensamples, die locker von einer James Last-Platte stammen könnten, neben eine blubbernde 404, untermalen schepprige Beats sphärisch-näselnde Frauenchoräle, die stark an Samstag-Abend-Bumsfilme erinnern. Jedoch paßt der Dorau fein auf, daß sich ja kein selbst gespieltes Instrument einschleicht. In unseren postmodernen Zeiten heißt die Devise „Besser gut geklaut, als schlecht selbst gemacht", wobei die innovative Kunst darin besteht, aus vielen kleinen Atomen ein vollkommen neues Ganzes zu generieren. Und das gelingt Dorau spielend.
Seine deutschen Stabreime fügen sich mit Leichtigkeit in die neue Form von Disco-House-Beat-Pop, als hätte es schon immer so sein sollen. Die Personen in seinen Songs reimen und grooven aneinander vorbei, unfähig zur Kommunikation. Doraus Ironie ist spielerisch zweischneidig: betont humorvoll, fast schon altklug, und doch entbehrt sie nicht einer gewissen Feinfühligkeit und Tiefe. Irgendwie hat man, mal ehrlich, solche Situationen auch schon mal erlebt...das Mädchen in der Disco, das man sich nicht traut anzusprechen... Andreas Dorau ist ein wenig wie in seinem Stück „Scheinzahm": erst zutraulich wirken, aber dann zubeißen. Und was „wirklich in mir passiert, siehst Du nicht, weil’s Dich nicht interessiert....
Warum haben deine Protagonisten eigentlich nur negative Erfahrungen in zwischenmenschlichen Beziehungen?
„Ich find’ das irgendwie symphatisch. Ich finde die Verliererseite einfach symphatischer!"
nikki
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