Yoshinori Sunahara:
Der Traum vom schöner Fliegen

In einem kleinen bunten Hotel, mitten zwischen vielen schnellen Menschen sitzt an einem winzigen Tisch ein kleiner Mann. Der ist kaum größer als mein Zeigefinger, denke ich, als ich herantrete. Er träumt von Hawaii. Eine Sünde, die nur schwer zu verzeihen ist, sicher. Und er raucht Marlboro Menthol, eine Sünde, die niemals zu verzeihen ist. Gerade, als ich mich auf einen dieser Puppenstühle quetschen will, taucht mit einem lauten Schrei ein zweiter Mann auf, der sich als Dolmetscher zu erkennen gibt. Aha. Der kleine, schwarzhaarige, rauchende Mann ist Japaner. Komisch, denke ich, die hab' ich mir immer kleiner vorgestellt.
Yoshinori Sunahara stellt sein neues, zweites Solo-Album "Take Off And Landing" vor. Mit schöner Regelmäßigkeit unterbricht der zierliche Winzling, der in der Musikwelt als "Techno-Visionär" gehandelt wird, seine Mitarbeit in der japanischen Technoband "Denki Groove", um den vielen Gedanken, die in seinem Kopf herumschwirren, Gestalt zu verleihen.
"Sunaharas Platten werden als intellektuelle Meisterwerke gefeiert. Sieht er das auch so? Oder ist für ihn in erster Linie der Spaß an der Musik entscheidend?", frage ich den Dolmetscher Ken.
"Er sieht das eigentlich genau umgekehrt. Er geht da gar nicht so verkopft an die Musik ran, er hält sich auch nicht für besonders schlau, es kommt dann doch mehr vom Herzen, es hat sehr viel mit Gefühl zu tun. Er denkt gar nicht mal soviel darüber nach, welcher Akkord zu welchem passen würde, es ist mehr so ein Gefühl, was würde ich jetzt am liebsten danach hören, was würde jetzt dazu passen? Die Musik ist eine reine Gefühlssache."
"Ist Musik ein Ventil für sein hektisches Leben in Tokio?"
"Er hat noch gar nicht darüber nachgedacht, aber man kann das sicherlich so sagen. Aber wiederum ist seine Musik auch ein Spiegelbild dessen, was ihm Tag für Tag in Tokio begegnet. Es gibt auch schon Momente in seinem Leben, wo er denkt: 'Ich will raus aus Tokio, ich will nach Hawaii, mich an den Strand legen' - und dann kommt das auch bildlich in seiner Musik zu Ausdruck."

"Take Off And Landing" spielt mit der Konzept-Idee eines mehrsprachigen Flughafens unter der Erde. Im Jahr 2200 befinden sich bis zu 2000 Meter unter dem Tokioer Viertel Shinjuku fünf Ebenen, auf denen Flugzeuge landen und starten. Musikalisch setzt sich diese Vision aus einem Knäuel aus Sprachfetzen, Flughafenansagen und Hintergrundgeräuschen zusammen die sich hinter den Klängen von House, Minimal Techno, Hawai Gitarren und TripHop entwirren.
Eine Verbindung mit dem Brian Eno Album "Music For Airports" weist Sunahara entschieden zurück. Zwar seien Roxy Music und Eno in seiner Jugend große Vorbilder für ihn gewesen, doch bei der Entstehung dieses Albums spielten sie keine Rolle. Nach raumgreifenden Gesten und vielen fremden Worten, die Dolmetscher Ken und Sunahara austauschen, fährt Ken fort: "Flugzeuge und Flughäfen sind ein Hobby von ihm, er interessiert sich für das Design von Flughäfen, was vielen Leuten nicht auffällt, da sie den Flughafen nur als Mittel zum Zweck sehen. Er wollte auf diese Art und Weise den Flughafen näherbringen und das Augenmerk auf das Thema und Konzept Flughafen lenken."
Die zentrale Idee hinter Sunaharas Konzept ist die Multilingualität des Flughafens. Alle Menschen sollen ihre Sprache auf Schildern und in Ansagen wiederfinden; die Zeichen sollen universell verständlich werden. Der Gedanke an die Welt als "globales Dorf", eine Metapher, die im Zuge der zunehmenden medialen Vernetzung aufgetaucht ist, drängt sich auf.
Das Dorf "Welt" bereist Sunahara häufig und gern. Er liebt es, zu fliegen, besonders nach Hawai. Auf seinen vielen Reisen und durch die Importfreudigkeit japanischer Plattenläden kommt Sunahara immer wieder mit den verschiedensten Musikrichtungen in Berührung:
"In Tokio kann man im Prinzip alles käuflich erwerben, was man sich vorstellen kann, ob das nun amerikanische, europäische oder südamerikanische Musik ist. Und durch diesen Zugang haben die Japaner viel mehr Möglichkeiten auszuprobieren und letztendlich weiß der Japaner, der sich dafür interessiert, immer ganz genau, was musikalisch in anderen Ländern passiert. Während hier in Europa die Leute sehr auf Europa und Amerika fixiert sind. Welcher deutscher Musiker weiß schon, was in Japan musikalisch passiert?", fragen sich Ken und Yoshinori.
Der kleine Mann hält sich mittlerweile an seiner dritten Zigarette fest, die ungeraucht zwischen seinen Fingern verglüht. Das Teeglas, aus dem er trinken möchte, ist viel zu groß für ihn. Er könnte darin schwimmen, wenn er nur eine Badehose dabei hätte. Also helfe ich ihm beim Trinken.
"Wenn er dann in anderen Ländern ist, dann greift er sich schon mal die ein oder andere Platte heraus, ohne genau zu wissen, was dann ist. Er ist schon ein Sammler." Ken und Sunahara nicken hektisch.
"Eher Experimentell veranlagt?", frage ich.
"Er geht dann schon mal in einen Laden und sagt: 'Ich hätte gern das ganze Regal von hier bis hier.' Wenn er in Amerika ist und eine Platte findet, auf der nur Fitneß-Übungen sind, die nimmt er glatt mit. Es wird sicher mal ein Punkt geben, wo er das einbinden kann."
Die Art wie Sunahara Musikstile, Geräusche und Samples zu einer Legierung einschmelzen läßt, ist besonders. Etwas wirklich Neues wird man auf "Take Off And Landing" nicht finden. Doch das vielleicht schon mal Gehörte fügt sich auf so ungezwungene Weise zusammen, daß europäische Künstler wie DeeJay Punc-Rok oder Sven Väth wie verkniffene Pennäler beim Nachsitzen klingen.

Die Ungezwungenheit, mit der Japaner auf die westliche Musikgeschichte reagieren können, vollbringt immer noch kleine Wunder: neue Stile, neue Kompositionen und das alles so kunstvoll barock und doch leger drapiert.

Groove ist keine Frage des Beats und der funky Orgeln. Groove ist, wenn man die Augen schließt und einen Flughafen sieht und hört. Menschen von überallher wollen überallhin. Und Du mittendrin. Geräusche formen sich zu einem Teppich, dieser zu Musik, Du steigst auf und fliegst hinfort.

nikki