Mottenspaß
Deutsche Modenzeitung, Juli 1938
"Nehmt an, ihr hättet Gummi in den Händen, den ihr dehnen wolltet... so..." Tamara Rauser, Lehrerin für National- und Charaktertanz, breitet, auf die Fußspitzen schnellend, die nach oben geführten Hände mit weitschwingender Armbewegung aus. Zwanzig schlanke Frauenkörper federn hoch und ahmen die Tanzfigur nach.
Wie wäre es auch anders möglich! An den "Deutschen Meisterstätten für Tanz" sind ja nur Meisterschülerinnen zugelassen. Viele leiten selbst Tanzschulen und sind im Beruf stehende Solotänzerinnen. Man nimmt hier nur an einer Art akademischem Aufbau-Unterricht teil, vervollkommnet sich in einer Besonderheit.
Übungsplatz ist ein lichter Rokokosaal im kürzlich eröffneten "Haus des Tanzes" im Grunewald. Die schloßartik elegante ehemalige Privatvilla liegt, von Nachbargärten freundlich umhegt, in einer abgeschiedenen Straße des vornehmen Berliner Vorortes. Von der durch Erker, Balkons und Wintergarten reizvoll verwinkelten Rückseite des Hauses leitet eine Freitreppe in den grünumwucherten Garten hinab. Er lichtet sich zu einem Rasenteppich, der in sanfter Neigung bis an das Ufer des Halensees verläuft. Blutbuchen und märkische Kiefern rücken rücken im Hintergrunde zu phantastisch schönen Naturkulissen für die hier geplanten Freilichtaufführungen zusammen.
Jeder Tänzer und jede Tänzerin, die Ballettmeister oder Leiter einer neuen Ausbildungsstätte für künstlerischen Tanz werden wollen und eine dreijährige Ausbildung an einer Ballett- oder Tanzschule oder in der Praxis nachweisen können, werden heute gutachtlich durch die "Deutschen Meisterstätten für Tanz" geprüft und erweben so ihren tänzerischen Führerschein.
Namen wie Mary Wigman, Tamara Raufer, Jutta Klamt, Max Terpis deuten Wege, Höhe und Ziele der künstlerischen Ausbildung an. Die Leitung liegt in den bewährten Händen von Rolf Cunz.
Daneben werden Tänzer von Rang zu Gastkursen herangezogen. So bietet sich demnächst Gelegenheit, aus der Unmittelbarkeit eines "Sonderstudio" heraus zu erleben, wie sich in Harald Kreutzbergs eigenwilligen Künstlertemperament das Wesen des Tanzes spiegelt. - Auch Mary Wigmans Lehrtätigkeit vollzieht sich im Rahmen von Sonderkursen.
Dem Institut eingegliedert ist die "Deutsche Tanzbühne", eine ausschließlich für die Zwecke beruflicher und künstlerischer Förderung geschaffene Einrichtung. Als führende Übungsstätte Deutschlands bedeutet sie für den schöpferisch begabten Nachwuchs das Tor zur Welt des Tanzes. Sie ebnet talentvollen. Tanzwerkverfassern den Weg in die Öffentlichkeit. Schließlich betreut sie die erwerbslosen Tänzer, die im "Haus des Tanzes" in Sonderklassen kostenlos über können, damit sie nicht einrosten.
Max Terpis unterhält sich mit seiner Klasse über über die merkmale des reinen Stiltanzes, wie des Nationaltanzes, im Gegensatz zur augenblicklichen Aufgabe. Man übt nämlich einen Tanz seliger Geister aus Glucks Musikdrama "Orpheus und Eurydike".
"Was für eine Bequemlichkeit bietet Ihnen der Nationaltanz?" - "Man tanzt bekannte Schritte." - "Wenn man sie tanzen kann", echot es aus einer Zuschauerecke mit freundschaftlich kollegialer Anzüglichkeit.
"Die Kunst liegt dort also in der vollendeten Zusammenstzung. Wogegen es bei Tänzen wie 'Orpheus und Eurydike' oder 'Sommernachtstraum' oder den 'Lustigen Weibern' - ja, bitte, worauf kommt es hier an?" - "auf die Erfindung", antworten mehrere Stimmen. "Jawohl. Also erfinden Sie! Improvisieren Sie 'selige Geister'!"
Auch die Musik nimmt den Gedanken auf. Sie gibt eine heiter-verträumte, erdferne Simmung wieder. Und schon sieht man keine Meisterschülerinnen, Solotänzerinnen und Ballettmeisterinnen mehr, sondern nur noch traumwandelnde Gestalten, die sich mit versunkenen Gebärden in paradiesischen Gefilden ergehen.
Jeder "selige Geist" schwebt anders. Eindrucksvoll offenbart sich die Verschiedenheit der Temperamente und Begabungen. Eine tanzt mit versunkener Hingabe, die andere aufgeschlossen-strahlend, "selig" vielleicht mehr im irdischen Sinne.
"Es wird noch zu viel 'getanzt'. Versuchen Sie einmal emporzusteigen, das Gefühl zu verdeutlichen, das man im Traume hat, wenn man, ohne Angst zu fallen, sich plötzlich schweben fühlt", erläutert Terpis. "Es gibt eine kleine Plastik, die jene übersinnliche Heiterkeit ausdrückt. Sie kennen sie alle ... nun? ... es ist 'die unbekannte von der Seine'."
Man glaubt zu sehen, wie die Tänzerinnen den i knappster Formulierung versteckten Reichtum künstlerischer Anregung aufsaugen, äußerlich und innerlich verarbeiten. Man spürt auch, daß der - täglich oft bis zu sechs Stunden praktische Übungen einschließende - Unterricht mit seiner Einspannung körperlicher, geistiger, seelischer Kräfte allen eine Quelle tief beglückender Arbeit bedeutet, in die sie sich hineinknien - weit mehr in die Berufung als in den Beruf.
Zu den geöffneten Fenstern nicken Kastanien herein. Vogelstimmen, Sonne und Waldesrauschen vertiefen den Eindruck, daß dieses grün versponnene, schöpferische Energien atmende Heim des Tanzes eine ideale Pflanzstätte für "selige Geister" darstellt - auch ohne "Orpheus und Eurydike".
Ein neuer
Modevorschlag
Mitte: Ein sehr orgineller Einfall an diesem sportlichen Kleid aus rehbraunem Wollkrepp sind die himmelblauen Vorderteile aus Tuch oder Filz, die an den Rändern braune Lacetband-Steppereien haben.
Rechts: Die Farbenzusammenstellung von Pflaumenblau und Altrosa betont das Aparte dieses Wollbouclé-Modells, das als Kleid und auch als Bluse und Rock gearbeitet werden kann.
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