Der Blick auf diese Welt kann unruhig und gefährlich sein. Farben explodieren, Räume verschieben sich, Menschen verschwimmen in ihren Bewegungen. Sie alle existieren in kleinen Universen, die sich anziehen und wieder abstoßen, aber nie verschmelzen.
Wong Kar-wais Sicht auf das heutige Leben in Hongkong ist zuallererst ernüchternd. Das Leben in der Großstadt ist, so wird man sich eingestehen müssen, wirklich so - nur hat man diese Bilder in seinem Kopf vor lauter Pseudobeschäftigungen nie zulassen können.
Daß Wong Kar-wais 1994 gedrehter Film "Chungking Express" erst jetzt überall auf der Welt eine breite Öffentlichkeit findet, haben wir Quentin Tarantino zu verdanken, der sich gleich in die sensible, exzentrische Welt des chinesischen Regisseurs verliebt haben muß und ihn in Amerika protegierte.
Wong Kar-wais Filmkarriere begann bereits 1988 mit einer tragischen Dreiecksbeziehung, die im Gangstermilieu spielt. "As Tears Go By" ist eine unübliche Mischung aus Actionfilm und künstlerischer Bildbearbeitung. Bereits in diesem ersten Film isolierten sich die Menschen durch unerfüllte Sehnsüchte und fehlender Kommunikation voneinander.
Doch erst in "Days of Being Wild", den Kar-wai 1991 drehte, platzte das Grundthema seiner Filme vom Leben und Lieben in Hongkong voll in die Zuschauerreihen. Die Haßliebe zu einem Leben in der Stadt, das sich durch Chaos, Zerstörung, Kriminalität, Entfremdung, Schnelligkeit definiert, zeichnete Kar-wai in Bilder von geradezu poetischer Schönheit. Hongkong, die 6-Millionen-Stadt ist geprägt durch die Furcht vor der Zukunft des Jahres 1997, wenn die einstige englische Krohnkolonie an die Chinesen zurückfällt. Die Menschen sind auf der Suche nach Liebe und Zuneigung und finden doch nur den Tod oder ein todähnliches Leben im Vakuum. Wenig Licht und Filter lassen in "Days of Being Wild" transparente Bilder entstehen, die einem zu entgleiten drohen, wenn man nicht eindringlich genug zuschaut. |
Zu geradezu pathologischen Gehirnverknotungen führt uns jedoch "Chungking Express", der mit einer düsteren Farbigkeit gepaart mit expressionistischen Verwischungen und exzentrischem Verhalten der Protagonisten unwillkürlich an die Ausgeburt eines drogenzerfressenen Hirns erinnert. Vielleicht ist Wong Kar-wai den kleinen Sinnerweiterern auch nicht abgeneigt; jedenfalls war dieser Film, der in rasenden drei Monaten Produktionszeit entstand, schon heute ein Meisterwerk der Großstadtfilms. Labyrinthe aus Farben, Lichtern und Gebäuden verdrehen sich mit den zerstückelten Geschichten der Menschen in seinen Filmen zu Collagen, die man als Zuschauer im Vorführraum mühsam zusammensetzt, nur damit sie einem bei dem nächsten Rascheln einer Chipstüte wieder auseinanderbrechen. |
"Fallen Angels", der neueste Film Kar-wais, 1995 gedreht, lief mit großem Erfolg auf der diesjährigen Berlinale, und wird hoffentlich im Kielwasser des Ruhms von "Chungking Express" auch bald hier anlaufen.
Er erzählt fünf Geschichten, auch die von Agent, einer Killerin, und die des stummen Künstlers Ho. Beide sind in tragische Liebesgeschichten verwickelt: sie läßt als Agentin einen ihrer Killer in den Tod rennen, weil er ihre Liebe nicht erwiderte; er begleitete ein Mädchen auf der Suche nach ihrem Ex-Lover, verliebte sich und wurde zurückgelassen.
Herkömmliche Kommunikation zwischen den Menschen findet nicht statt, die Stadt scheint im Nachtzustand festgefressen, die Gesellschaft befindet sich in Auflösung.
Ho und die Agentin treffen schließlich irgendwie aufeinander, kennen und lieben sich nicht, doch am Ende fahren sie auf einem Motorrad rasend schnell in die Nacht. Die Umgebung verschwimmt, aber für diesen kurzen Moment sind sie alleine und zusammen.
Mehr kann ihnen die Großstadt nicht bieten.