Zu schön, um wahr zu sein
- Japans neuer Popstar Kyoko Date



Sie ist jung wie ein Frühlingsmorgen, singt wie eine Nachtigall, hat eine Haut aus Tautropfen und bewegt sich grazil wie ein Schmetterling. Kyoko Date aus Tokio, Japan, ist siebzehn, liebt Fast-Food, Handys und Manga-Comics und versteht sich prima mit ihren Eltern, die eine kleine Sushi-Bar am Stadtrand Tokios besitzen. Kyoko ist in Tokio ein großer Star. Es vergeht keine Woche, in der sie nicht in Videoclips auftritt oder im Radio zu hören ist. Kyoko hat niemals Schnupfen und sie wird, im Gegensatz zu ihren gleichaltrigen Kollegen aus Japans Musikbranche, des Medienrummels um sie nie überdrüssig. Kyoko ist ein Cybergirl, ein Mädchen aus dem Computer. Sie raucht nicht, sie trinkt nicht, sie ist perfekt und sie ist immer verfügbar.
Ausgedacht hat sich diese neue Form des Startums die japanische Künstleragentur Hori Pro. Zwei Jahre arbeiteten sechzehn kreative Köpfe der japanischen Computer- und Künstlerszene an Kyokos Mimik und Maßen (83-56-82). Kyoko hat nie Pickel, dafür besteht ihr Gesicht aus 40 000 Pixeln, und die Animationen sind so perfekt, daß sie fast menschlich wirkt.
Ihr dreidimensionaler Kunstkörper mischt sich in ihren Videos unauffällig mit realen Menschen; die amerikanischen Sender ABC und CNN waren wohl nicht die einzigen, die Frau Date für real hielten und auf der Jagd nach diesem neuen Supertalent waren. Für eine CD und ihre Radiosendungen leiht eine professionelle Sängerin Kyoko ihre Stimme, dieses Jahr plant die Agentur mit dem Computermädchen sogar Werbespots und ein "Live"-Konzert auf der Bühne.

Kyoko verkörpert nicht nur eine neue Form der Unterhaltungsindustrie, ganz nebenbei bringt sie mit ihrer frechen, forschen Art das traditionelle Frauenbild in Japan durcheinander. Sie verkörpert wie ihre Namensvetterin Kimiko Date, eine berühmte Sportlerin, den neuen Frauentyp Japans: sportlich und selbstbewußt, mit kurzen Haaren, dringen Japans Mädchen in neue Disziplinen vor und sind dabei erfolgreicher als ihre männlichen Kollegen.
Dabei löst weniger ihr Image als ihr künstlicher Körper Diskussionen aus: ein Star aus bits und bytes, da ist Japan geteilter Meinung. Junge Menschen, in deren Leben Elektronik wie die Luft zum Atmen dazugehört, finden Kyoko klasse; ältere erregen sich über die Perversion, künstliches Leben zu erschaffen und wie einen echten Menschen zu präsentieren. "Die Amerikaner finden Kyoko irgendwie unmoralisch", sagt Kyokos "Manager" Yoshitaka Hori, "aber die Franzosen sind von ihr begeistert." Nebene des ur-menschlichen Wunsches, alles auszuprobieren, was auszuprobieren geht, trieben Yoshitaka Hori vor allem praktische Gründe zur Generierung des Cybergirls: echte Jungstars seien ihrem Beruf physisch und psychisch oft nicht gewachsen, erklärt der Künstleragent. "Selten sprechen sie eine Fremdsprache, meist können sie entweder nicht singen oder tanzen. Kyoko läßt sich viel ökonomischer vermarkten als Talente, die man mit Mühe finden und ausbilden muß", behauptet Hori. Was zu beweisen wäre, denn die Investition in Kyokos digitale Erschaffung konnte die Agentur bis heute nicht einspielen.

Der Erfolg ist für Hori Pro nicht primär eine Frage des Geldes. Die Agentur arbeitet hart daran, ihren eigenen Mythos in Stein zu klopfen. Schon einmal schuf sie einen Superstar: vor über zwanzig Jahren wurde ihre Künstlerin Momoe Yamaguchi ein Idol. Nach einer rasanten Teenie-Karriere zog sich die Sängerin mit 24 Jahren aus dem Business zurück, und erlangte gerade dadurch Kultstatus.
Solche Macken liegen Kyoko fern. Sie singt und tanzt und tanzt und singt, und das immer mit einem bezaubernden Lächeln im Gesicht. Zur Ruhe setzen kann sie sich nicht. Diese Entscheidung nehmen ihr die Männer und Frauen hinter den Tastaturen ab, die gerade an einem neuen Video für sie arbeiten. Die Tanzbewegungen werden immer flüssiger, fast scheint es, als schwebte Kyoko dahin, als wäre sie nicht gefangen in einem Gitternetz aus Koordinaten, die feinfülig animiert werden wollen.Kyoko ist einfach zu schön, um wahr zu sein.

nikki