Die graue Eminenz hat sich feiern lassen.
Ganze zwanzig Minuten badete Lagerfeld auf seiner letzten Modenschau in
Paris im Applaus und nahm, wie immer mit Pferdeschwanz, Fächer und
dunkler Sonnenbrille, selbstverständlich die stehenden Ovationen
entgegen. Seine Show war, wie immer, etwas Besonderes: kein Laufsteg, keine
feste Reihenfolge der Models zog die Grenzen. Die Gazellen trugen ihre
Kombinationen aus Armee-Look, knalligen Farben und eleganten Kostümen
fast überschwenglich anarchistisch zur Schau. Für den Abend
empfielt der Hohepriester der Mode, wie immer, Schwarz und Gold. Elegant,
eng und schmal geschnitten, nichts wirklich Neues, mag man denken, doch
wiederholen tut er sich nicht. Niemals. Alle anderen vielleicht, aber er
nicht.
Das Zeit-Magazin veröffentlichte vor kurzem ein
außergewöhnliches Interview Karl Lagerfelds, in dem er sich
selbst fast liebevoll karikierte.
Aber Saint-Laurent ist doch....schwul! Und depressiv! Gott, wie
prätentiös! "Das finde ich degoutant, vor allem, weil ich
weiß, wie er in Wirklichkeit handelt." Schließlich hole er
sich arabische Strichjungen in sein Schloß in Marokko. Und bei dem
was er da treibt, ist er wohl kaum depressiv. Jedenfalls nicht
währenddessen..."Jeder in der Modebranche kann so tief denken,
wie er will. Aber das sollte er dann doch für sich behalten, sonst
wird es pathetisch. Mode ist oberflächlich, das muß man
akzeptieren."
Naja, aber Pierre Cardin? Was ist mit ihm? Der ist nicht schwul und doch
begabt, schließlich wurde er in die Académie Francaise
gewählt..."Dort kann er sich jetzt mit seinen Strumpflizenzen aus
dem Supermarkt für unsterblich halten."
Die graue Eminenz lebt mittlerweile in einer eigenen Realität, weit
weg von unserer Welt. Ein japanischer Architekt baut Lagerfeld gerade ein
Kloster mit einem Photoatelier (Photographie ist ihm wichtiger als Mode
geworden), Arbeitsräumen, einer Bibliothek für seine 230 000
Bücher und Zimmer für die Mitarbeiter. Kontakte nach
draußen sollen in Zukunft per Computer erfolgen. Die Mitarbeiter
dürfen sich mit Menschen treffen. Ihm ist es egal. Mit diesem
"Alltag, dem Klimperkram des alltäglichen Lebens"
beschäftigt er sich nicht mehr.
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Der Meister wurde am 10. September 1938 in Hamburg als Sohn eines
Dosenmilchfabrikanten, Marke Glücksklee, geboren. Das ist nicht so
lustig, wie es klingt, verweigerte ihm seine 42jährige Mutter nicht
nur die Brust, sondern auch jede Zärtlichkeit: "Körperliche
Nähe war ihr zuwider.
"Muttermilch hat es nie gegeben. Meine Mutter
sagte, ich habe nicht einen Milchfabrikanten zum Mann, um meinen Busen
für so etwas herzugeben." Der kleine Karl spielte nie mit anderen
Kindern und sagte auch nicht viel. "Wenn ich meiner Mutter etwas
erzählen wollte, sagte sie, sprich nicht so langsam, der Stuß,
den Du redest, ist nur zu ertragen, wenn es nicht lange dauert."
Bekenntnisse, wie das, er habe seit seinem
vierzigsten Lebensjahr kein Sexualleben mehr, alles Körperliche sei
ihm peinlich. "Man kann alles, wenn man will", ist seine Antwort
auf die verwunderte Frage, ob die Unterdrückung der Sexualität
wirklich möglich sei.
Der kleine Karl im großen Karl findet heute andere Kinder, andere
Modemacher also, immer noch furchtbar. Er spielt nicht mit, sondern gegen
sie. "Prätentiös" ist eines seiner
Lieblingswörter, wenn er andere Modemacher beschreibt. "Yamamoto
macht technisch tolle Sachen, aber was er manchmal redet, ist
furchtbar." Und Christian Lacroix ist nicht der Frauenheld, für
den wir Verblendeten ihn immer hielten: "Frauenheld? Wer sagt das? Das
kann nur jemand sagen, der nicht informiert ist. Daß einer
verheiratet ist, will noch nichts heißen." Oh.
Oberflächlich, so wie Karl. Er macht ein Geheimnis aus sich,
mutmaßt jedoch, es könne auch nichts dahinterstecken.
Persönliche Probleme gehören nicht in die schnellebige,
oberflächliche Welt der Mode, und da hat er nicht ganz unrecht. Mode
sei nicht Kunst, und Yves Saint-Laurent sei kein Künstler, seit
zwanzig Jahren komme bei ihm eh' dasselbe Kleid heraus."Was ich sage, gilt immer nur für den Augenblick. Das zählt
sechs Monate später schon nicht mehr", sagt das Nichts im schwarzen
Anzug, das stilisierte Geheimnis hinter der Maske aus
Oberflächlichkeit.
"Man denkt sich etwas aus, und zum Schluß glaubt man
selbst, was man sich in den Kopf geschrieben hat. Jede Entscheidung ist
zugleich die Verweigerung aller anderen Möglichkeiten, sagt Spinoza.
Man kann nicht alles haben. Ich habe mich zu dem entschieden, was ich heute
bin, whatever it means. Ich fürchte, im Grunde bin ich total
banal."
(Quelle: Die Zeit Nr.9, 23. Februar 1996)
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