"Mode ist oberflächlich"
Ein Porträt des Modezaren Karl Lagerfeld

Die graue Eminenz hat sich feiern lassen. Ganze zwanzig Minuten badete Lagerfeld auf seiner letzten Modenschau in Paris im Applaus und nahm, wie immer mit Pferdeschwanz, Fächer und dunkler Sonnenbrille, selbstverständlich die stehenden Ovationen entgegen. Seine Show war, wie immer, etwas Besonderes: kein Laufsteg, keine feste Reihenfolge der Models zog die Grenzen. Die Gazellen trugen ihre Kombinationen aus Armee-Look, knalligen Farben und eleganten Kostümen fast überschwenglich anarchistisch zur Schau. Für den Abend empfielt der Hohepriester der Mode, wie immer, Schwarz und Gold. Elegant, eng und schmal geschnitten, nichts wirklich Neues, mag man denken, doch wiederholen tut er sich nicht. Niemals. Alle anderen vielleicht, aber er nicht. Das Zeit-Magazin veröffentlichte vor kurzem ein außergewöhnliches Interview Karl Lagerfelds, in dem er sich selbst fast liebevoll karikierte.
Der Meister wurde am 10. September 1938 in Hamburg als Sohn eines Dosenmilchfabrikanten, Marke Glücksklee, geboren. Das ist nicht so lustig, wie es klingt, verweigerte ihm seine 42jährige Mutter nicht nur die Brust, sondern auch jede Zärtlichkeit: "Körperliche Nähe war ihr zuwider.
"Muttermilch hat es nie gegeben. Meine Mutter sagte, ich habe nicht einen Milchfabrikanten zum Mann, um meinen Busen für so etwas herzugeben." Der kleine Karl spielte nie mit anderen Kindern und sagte auch nicht viel. "Wenn ich meiner Mutter etwas erzählen wollte, sagte sie, sprich nicht so langsam, der Stuß, den Du redest, ist nur zu ertragen, wenn es nicht lange dauert." Bekenntnisse, wie das, er habe seit seinem vierzigsten Lebensjahr kein Sexualleben mehr, alles Körperliche sei ihm peinlich. "Man kann alles, wenn man will", ist seine Antwort auf die verwunderte Frage, ob die Unterdrückung der Sexualität wirklich möglich sei.
Der kleine Karl im großen Karl findet heute andere Kinder, andere Modemacher also, immer noch furchtbar. Er spielt nicht mit, sondern gegen sie. "Prätentiös" ist eines seiner Lieblingswörter, wenn er andere Modemacher beschreibt. "Yamamoto macht technisch tolle Sachen, aber was er manchmal redet, ist furchtbar." Und Christian Lacroix ist nicht der Frauenheld, für den wir Verblendeten ihn immer hielten: "Frauenheld? Wer sagt das? Das kann nur jemand sagen, der nicht informiert ist. Daß einer verheiratet ist, will noch nichts heißen." Oh.

Aber Saint-Laurent ist doch....schwul! Und depressiv! Gott, wie prätentiös! "Das finde ich degoutant, vor allem, weil ich weiß, wie er in Wirklichkeit handelt." Schließlich hole er sich arabische Strichjungen in sein Schloß in Marokko. Und bei dem was er da treibt, ist er wohl kaum depressiv. Jedenfalls nicht währenddessen..."Jeder in der Modebranche kann so tief denken, wie er will. Aber das sollte er dann doch für sich behalten, sonst wird es pathetisch. Mode ist oberflächlich, das muß man akzeptieren."
Oberflächlich, so wie Karl. Er macht ein Geheimnis aus sich, mutmaßt jedoch, es könne auch nichts dahinterstecken. Persönliche Probleme gehören nicht in die schnellebige, oberflächliche Welt der Mode, und da hat er nicht ganz unrecht. Mode sei nicht Kunst, und Yves Saint-Laurent sei kein Künstler, seit zwanzig Jahren komme bei ihm eh' dasselbe Kleid heraus.

Naja, aber Pierre Cardin? Was ist mit ihm? Der ist nicht schwul und doch begabt, schließlich wurde er in die Académie Francaise gewählt..."Dort kann er sich jetzt mit seinen Strumpflizenzen aus dem Supermarkt für unsterblich halten."

Die graue Eminenz lebt mittlerweile in einer eigenen Realität, weit weg von unserer Welt. Ein japanischer Architekt baut Lagerfeld gerade ein Kloster mit einem Photoatelier (Photographie ist ihm wichtiger als Mode geworden), Arbeitsräumen, einer Bibliothek für seine 230 000 Bücher und Zimmer für die Mitarbeiter. Kontakte nach draußen sollen in Zukunft per Computer erfolgen. Die Mitarbeiter dürfen sich mit Menschen treffen. Ihm ist es egal. Mit diesem "Alltag, dem Klimperkram des alltäglichen Lebens" beschäftigt er sich nicht mehr.

"Was ich sage, gilt immer nur für den Augenblick. Das zählt sechs Monate später schon nicht mehr", sagt das Nichts im schwarzen Anzug, das stilisierte Geheimnis hinter der Maske aus Oberflächlichkeit.
"Man denkt sich etwas aus, und zum Schluß glaubt man selbst, was man sich in den Kopf geschrieben hat. Jede Entscheidung ist zugleich die Verweigerung aller anderen Möglichkeiten, sagt Spinoza. Man kann nicht alles haben. Ich habe mich zu dem entschieden, was ich heute bin, whatever it means. Ich fürchte, im Grunde bin ich total banal."

(Quelle: Die Zeit Nr.9, 23. Februar 1996)

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