KultEcke: H. R. Giger





"In diesen Bildern sehen wir uns selbst als kriechende Embryos, als fetale, larvale Kreaturen, geschützt durch die Hülle unserer Egos, wartend auf den Moment unserer Metamorphose und Neugeburt."
Timothy Leary, 1981

H. R. Giger ist einer der bedeutendsten Künstler dieses Jahrhunderts. Mit Sicherheit ist er der Einzige, dessen Bilder beim durchschnittlichen Rezipienten auf Ekel, Abscheu, bestenfalls auf Unverständnis stoßen - und das heute noch.
H. R. Giger - das sind Mumien, Monstren, Mutationen in Airbrush, erotische Maschinenphantasien, in denen Schläuche und Kanäle weibliche Öffnungen penetrieren.
H. R. Giger - das sind aber auch düster-schöne Tuschezeichnungen, Photomontagen, bizarre Landschaften. Preisgekrönte Entwürfe für die Filme "Alien" und "Spezies". Und eine spezielle Art Dinge zu sehen, die uns verborgen bleiben, weil wir sie lieber verbergen wollen.
Hans Ruedi Giger wurde 1940 in Chur, Schweiz, geboren. Früh entdeckte er seine Liebe zu schwarzer Kleidung, schwarzen Räumen, schwarzen Gedanken und zum anderen Geschlecht. Sein Vater war "als Doktor und Apotheker wie auch als Präsident des Apothekervereins und der alpinen Rettungswache eine Respektsperson" (Giger: ARh+). Obwohl seinen Sohn lieber als Architekt denn als "brotlosen" Künstler gesehen hätte, ließ er ihn werkeln. Giger baute schon früh Geisterbahnen, dekorierte sein "schwarzes" Zimmer mit Plastiken und arbeitete an Photomontagen, in denen er seine Augen auf einen Totenkopf belichtete.
Bereits 1959 erschienen erste schwarz-weiß Tuschearbeiten von ihm in den schweizer Untergrundmagazinen "Clou" und "Hotcha".
Die frühen Zeichnungen (Mitte der 60er Jahre) sind besonders faszinierend. Hier vermischen sich klar umrissene Tuschestriche auf geographischen Hintergründen (z. B. die "Schächte-Bilder", um 1966) mit Körpern, die maschinenartig deformiert sind, deren Skelett nach außen geplatzt zu sein scheint. Die schwebende Leichtigkeit, mit der Giger in den 70ern dann seine Landschaften und Biomechanoiden zu inszenieren beginnt, deutet sich hier bereits an.
Schächte, Gänge und steile, hinab führende Treppen beflügelten Gigers Phantasie, die sich von allem Gefährlichen und Unheimlichen angezogen fühlte. Schwarze Schlünde können auch, wenn man sich nicht vorsieht, tief hinab in die Seele führen. Eine unbekannte Landschaft. Niemand weiß wirklich, ob dort jemals die Sonne scheint.
Gigers Faszination für die dunklen Seiten unserer Existenz sind allgegenwärtig: Schlünde, Knochen, Maschinenteile, Schleim und Exkrement. Einen frühen Versuch, sich selbst eine Guillotine zusammenzubauen, verwarf er wieder: "Zusammengebaut habe ich die Maschine nie, weil ich plötzlich das Interesse daran verlor, die Schaufensterpuppen zu köpfen, die stumm in meinem schwarzen Zimmer herumstanden. Man hätte ihnen, da sie aus Plastik waren, den Kopf abschlagen und nachher gleich wieder anstecken können." (Giger)

LI

H. R. Giger lernte Li 1966 während ihres Schauspielstudiums in Zürich kennen. Dort schloß er im selben Jahr die Kunstgewerbeschule erfolgreich ab. Bis zu ihrem Tod im Jahr 1975 war Li Tobler seine Lebensgefährtin. Sie ziehen 1967 zusammen und schon bald darauf sollten Plastiken und Polyesterarbeiten sowie maschinenartige Landschaften entstehen, die in den 70er Jahren so typisch für Gigers Werk werden sollten. Li's filigrane Gesichtszüge haben sich in vielen Bildern Gigers eingegraben. Die blassen, wie von Gaze bedeckten Gesichter scheinen ihren Selbstmord im Jahr 1975 so unausweichlich vorwegzunehmen, daß eine vielzitierte Feststellung Timothy Learys, "Giger, Du siehst mehr als wir domestizierten Primaten", unheimliche Realität zu sein scheint.

Die Biomechanoiden
Für die Dreharbeiten zu einem dreißigminütigen Film von F. M. Murer Swiss Made fertigt Giger seine ersten biomechanoiden Plastiken an. Die reizende Gestalt links ist "sein erstes extraterristisches Wesen mit eingebautem Bild- und Tonaufnahmegerät in Kopf und Brust." (Giger). Für einen Hund entwirft eir einen weißen Polyester-Vinyl-Anzug. 1969 erscheint das große Siebdruck Portfolio Biomechanoiden. Diese "Wesen" sind für Giger eine harmonische Verschmelzung der Technik und Mechanik mit der Kreatur. "Die Gentechnik wird uns das Fürchten lehren. Schon das Klonen ist ein Alptraum. Siamesische Zwillinge als Arbeiter, ein Unterleib, zwei Köpfe, vier Arme."(Giger)
Die biomechanoiden Landschaften oder auch Portraits (auf einigen sind verdrahtete, verkabelte, verschmolzene Köpfe zu sehen) fertigte Giger zwischen 1975 und etwa 1977 an. Während dieser Zeit entstanden auch erste Entwürfe für den Film "Dune" von A. Jodorowski, der von Hollywood jedoch nie realisiert wurde.
Giders bionische Alpträume haben ihre ganz eigene Ästhetik. In allen Schattierungen von Blau-Grau sind sie eine filigran-kunstvolle Verschmelzung von Knochen- und Maschinenteilen, von Fleisch und Metall. Ihre düstere Todesstimmung - nichts in diesen Bildern scheint je gelebt zu haben - zwischen Wahn und Wirklichkeit spiegelt die Tragik der menschlichen Existenz in einer immer komplexer und künstlicher werdenden Welt. Bücher wie William Gibsons Neuromancer (1984), Filme wie Scotts Bladerunner potenzierten Gigers Bilder fast ein Jahrzehnt später: die "Aliens", die Dinger mit Maschinenteilen, das sind wir, die wir Androiden bauen, wir, die wir uns mit Computern verkabeln.
a l i e n
Mit dem Film Alien (1978) lieferte Ridley Scott einen Science-Fiction-Knaller ab, mit dem wohl niemand in der Form gerechnet hatte. Der Hund drehte den verdammt besten Sci-Fi-Film überhaupt (okee...ich reiße mich am Riemen...). In ästhetischer, inhaltlicher, formaler und psychologischer Hinsicht bis heute faszinierend und unübertroffen, brachte Alien zu Recht für H. R. Gigers Gestaltung der Dekors und des "Monsters" einen Oscar ein. Seit diesem Erfolg ist Giger quasi ein Popstar.
Alien prägte die gesamte Sci-Fi-Scene so sehr, daß es neben Special-Video-Editionen Handbücher über die Entwicklung des Aliens vom Facehagger, zum Chestburster und schließlich zum ausgewachsenen Wesen gibt.
Eine ausgewählte Fantasy-Rollenspiel-Gemeinde wälzt seitdem Bücher über Morphologie und Abstammung der Aliens, sowie die verschiedenen Arten, Königin, Krieger etc., die in der bisherigen Alien-Trilogie im Film auftauchten.
Eine Reihe von wissenschaftlichen Veröffentlichungen beschäftigt sich noch heute mit der Frage nach der Bedeutung des Films, wobei die Pole bei der tiefenpsychologischen Interpretation (Alien als psychologische Darstellung und Bewältigung des Mutter- und Gebärkomplexes bei Mann und Frau) und der philosophisch-anthroposophischen Richtung (das Alien als Sinnbild für das Fremde in uns und um uns) zu suchen sind.


Alle Zitate aus: H. R. Giger: A RH+ . Benedikt Taschen Verlag 1994
nikki


Literatur

H. R. Giger: Passagen . Büdner Kunsthaus, Chur 1974
H. R. Giger's Necronomicon . Sphinx Verlag Basel, 1977
Giger's Alien . Sphinx-Verlag Basel, 1980
H. R. Giger: N. Y. City . Sphinx-Verlag Basel, 1981
Gigers's Necronomicon 1 . Edition C. Zürich, 3. Neuauflage, 1984
Annette Kuhn (Hg.): Alien Zone . Cultural Theory and Contemporary Science Fiction Cinema . Verso, London 1990 . Brilliante Analysen zum Film Alien (1978)
Werner Faulstich: Die Filminterpretation . Göttingen 1988 .
Faulstich interpretiert den Film Alien psychologisch - der Spielfilm als Traum



Internetadressen

the d a r k pages
hübsch gemachter Gruselkram für Fans, u.a. mit H.R. Giger-Seiten, aber auch anderen Mutationen

die offizielle site des meisters
nehmt euch zeit mit, meine freunde, denn dort lauern viele bilder, oh, all zuviele...

die giger bilderdatenbank, wenn man so will
liebevoll gemacht, wie die d a r k pages ein kleines highlight im netz-müll.

diese Bladerunner-Seite zeigt mehr von den dunklen Seiten der Technik, die auch Giger in seinen Bildern anspricht.
Die Hintergrundinfos über den Film und die fantastischen Interpretationen sind das Beste im Sci-Fi-Bereich, was ich seit dem Mittelalter gesehen habe...