Ist Techno tot?

An kalten Herbstabenden ist es angenehm, die Heizung aufzudrehen und gemütlich auf dem Flocati ein Tässchen Tee zu trinken. Wenn die Nacht noch jung ist, der Aschenbecher leer und irgendein besonders fieser Geist dem Fernseher - im wahrsten Sinne - das Licht ausbläst, sollte man mit Sannah eine Diskussion führen.

Zugegebenermaßen ist die Frage recht bekloppt.

"In Locations wie die Hanomag gehen Leute, die auf das stehen, was ihnen die Charts präsentieren. Wir verabscheuen das, was da läuft. Das ist nicht unsere Musik, also ist es auch kein Techno. Doch das stimmt nicht. Es ist der Technoableger Rave, der für uns nicht akzeptabel ist, weil er den Qualitätsverfall symbolisiert. Wenn man z.B. die Ravelab EP von revil 'ravel' O. hört, rennt unsereins schreiend weg."

Rave ist wohl die einfachste Form von Techno. Rave ist irgendwo zwischen Techno und kommerziellem Dancefloor einzuordnen. Wobei ich mit kommerziellem Dancefloor Stücke von DJ Bobo, Snap, Erotic & Co abstempele. Ein Musikwissenschaftler würde jetzt wohl sagen, daß diese Sachen auch die Technostruktur haben. Doch ein anderer Vertreter dieser Gattung (Dr. phil. Wulf Dieter Lugert, Uni Lüneburg) hat Volksmusik auch die gleiche Struktur nachgewiesen.

Dancefloor hat immer seinen eigenen Platz gehabt. Ab und an hat es sich - mit einiger Verzögerung - von Musiktrends beeinflussen lassen. 88'er Stücke von Stock-Aitken-Waterman (I'd rather Jack) würden manche heute auch als Techno bezeichnen. Zur gleichen Zeit haben die aber auch Stücke für Kylie Minogue geschrieben. Wir ziehen hier also guten Gewissens eine Grenze und definieren fröhlich weiter. Dazu die zentrale Frage: Was ist denn eigentlich Techno?

Betrachten wir in 80 Worten die Entstehung:

"Juan Atkins hat '85 mit seinem Projekt Model 500 den Weg zu Techno begründet. Ungefähr zeitgleich entstand in Chicago und New York die House-Bewegung. Schließlich schwappte die Bewegung mit Acid-House zu uns nach Europa herüber und löste die erste Kommerzwalze aus."

Die hätte die Bewegung beinahe erstickt, doch ein paar Musiker tüftelten weiter. In London entwickelte sich Bleep-House mit Tricky Disco und LFO, in Manchester Techno-Rave mit 808-State, in Deutschland produzierte D-Shake. '91 einigte man sich auf den Namen Techno.

"Früher war alles, was rauskam geil. Jedes Stück hatte was Besonderes. '93 begann dann die Abspaltung in Gruppen, die sich zu verschiedenen Stilen eher hingezogen fühlten. Man konnte keine Kompromisse mehr bilden, um auf einen Nenner zu kommen."

'92 kam 'Wo ist Pipi' und 'Roy Black lebt' raus. Ob das geil gemacht hat?

Wir neigen dazu, die Vergangenheit zu verglorifizieren. Kennt man ja schon.

'93 mußten sich Techno-Musiker, wenn sie weiter Neues schaffen wollten, vom Ursprung entfernen. So legten z.B. einige mehr Spiritualität in ihre Stücke, es entstand Goa. Andere versuchten es mit Aggression, das nannte man Gabba. Wieder andere entwickelten House weiter und mochten ihre Musik auch nicht mehr Techno nennen. Besonders Geschickte legten einen Haufen Profitgier in ihre Musik und nannten das Rave. Da wären wir wieder beim schwarzen Schaf. Doch wer sind den nun die Schafzüchter?

Z.B. Scooter - "Das waren früher für Hannover richtige Vorzeigetypen.",

Westbam - "Der hat '87 Acid-House in Deutschland mitgeprägt.",

Marusha - "Ohne Marushas DT64- Dancehall wäre ich gar nicht auf Techno gekommen. Jedenfalls nicht so früh.".

Können wir es diesen Sympatieträgern verdenken, daß sie ein bißchen Kohle machen? Vielleicht wenden sie sich wieder zum Guten, wenn sie genug verdient haben. Wer ist denn der Obermotz, auf den sich die ganze Gemeinde einigen kann? Sven Väth! Der hat in den 80ern sogar übelsten Kommerz-Dancefloor gemacht. Ich sage nur Off!

Wenn wir anfangen ganz furchtbar positiv zu denken, kommen die Jüngeren erst über Rave und z.B. die Hanomag zu Techno. Die sind noch stolz darauf, sagen zu können, sie hören Techno. Genau das ist es was uns fehlt: stolz auf unsere Musik zu sein. Stolz kann man aber nur auf etwas sein, was andere nicht haben.

"Ich wußte '92, ich hatte was, das andere nicht kennen. Was praktisch ein Geheimnis ist."

Ich habe '92 Techno für tot erklärt. Als man '88 House für tot erklärt hat, war ich auf meinen ersten kommerziellen Acid-House-Parties. Übrigens in der Hanomag. So schließt sich der Kreis wieder. Alle steigen im kommerziellen Sektor ein und einige entwickeln sich und eventuell sogar die Musik weiter. Vielleicht nennen sie ihr Kind irgendwann anders, wenn es für tot erklärt wird. Schließlich werden sie stehenbleiben und Jüngeren Platz machen. Wenn man Pech hat, werfen die dann die ganzen schönen Ideale über'n Haufen, die man sich so nett zurechtgelegt hat. Ist es also das Lebensgefühl, was stirbt?

"Wir haben nach der Loveparade gesagt, wir wollen mit Techno aufhören. Das geht aber nicht. An einem bestimmten Punkt kann man sagen, wir wollen mit Drogen aufhören, aber das Lebensgefühl kann man nicht einfach so wegschmeißen. Das sitzt zu tief. Besonders die Leute in meinem Alter, die damit aufgewachsen sind, die da ihre Heimat gefunden haben, die werden das zumindest in den Köpfen behalten."

Die neue Generation wird sich aber ihr eigenes Lebensgefühl basteln. Na und, Fortschritt durch Techno.

Wenn ich schon so allwissend von den Generationen im Techno spreche, kann ich eigentlich die echten Generation betrachten.

Wir stellen uns also der Einfachheit halber vor, wir wären alle Amerikaner (nein, nicht Krapfen). Demnach hätten unsere Großeltern wahrscheinlich Jazz gehört und unsere Eltern Rock (im allumfassenden Sinne).

"Als Rockmusik aufkam, ist Jazz vielleicht in den Hintergrund gerückt."

Aber niemals ausgestorben. In Vergessenheit geraten höchstens Ableger einer Musikrichtung. Diese Trends können aber später von anderen Jugendkulturen wieder aufgegriffen werden. Rock'n'Roll beispielsweise wurde nach 30 Jahren von den Psycho-Billies neu entdeckt. Diese 'alten' Musikrichtungen bilden auch heute noch Trendformen, wie Grunge beim Rock und sogar Dancefloor-Jazz beim Jazz. Techno kann man nach 10 Jahren jedoch kaum nur als Trend sehen. Vielleicht gerät z.B. Jungle für ein paar Jahre in Vergessenheit, aber Techno an sich wohl kaum.

Trotzdem wurde Techno in den letzten fünf Jahren in den Medien mindestens fünf mal für tot erklärt. Haben die Autoren Langeweile, oder gehen ihnen die Themen aus?

"Ist Techno tot - das ist wirklich eine total bekloppte Frage!"

Spock ("& Sannah")